Eine kleine Geschichte über das Schreiben:
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»Gern«, sagt der Autor auf den schüchternen Dank des milchgesichtigen Studenten, nachdem er eine Widmung in dessen frisch erstandenen Roman gepinselt hat. Nur ein Taschenbuch, aber immerhin.
Als nächstes tritt eine Frau mit konservativer Hochsteckfrisur an den Signiertisch, die gleich vier Neuerwerbungen ablädt. Zwei Hardcover, zwei Taschenbücher.
»Ah«, sagt der Autor, »ein echter Fan!«
»Das kann man wohl sagen! Bis auf diese vier habe ich all Ihre Bücher im Regal stehen. Und alle gelesen! Hach, das wollte ich Ihnen schon immer mal persönlich sagen: Sie schreiben einfach wundervoll!«
Auf den Wangen des Autors zeigt sich ein pflichtschuldiges Rot. »Vielen Dank.«
»Schreiben Sie bitte: Für Anne, meinen größten Fan.«
Der Autor zieht eine Augenbraue hoch, dann nimmt er sich zuerst die beiden Hardcover vor und kritzelt wundervolle Widmungen aufs FSC-zertifizierte Papier.
»Woher nehmen Sie nur all Ihre tollen Ideen?«, fragt der größte Fan, während der Autor sich den beiden Taschenbüchern zuwendet.
»Interessante Frage«, murmelt er, ohne aufzusehen. »Manchmal fallen sie buchstäblich vom Himmel, meistens fallen sie mir aber schlicht und einfach ein. Die Idee für diesen Roman kam mir beispielsweise, als ich mir ein Spiegelei braten wollte und sämtliche Eier im Kühlschrank verdorben waren. Mann, war ich sauer an dem Morgen.«
»Ah«, macht der größte Fan und packt die beiden Hardcover in ihren Einkaufskorb. Dann beaufsichtigt sie das Signieren der Taschenbücher. »Und wie Sie diese Ideen immer umsetzen … also, das ist einfach großartig! Die Prosa fließt Ihnen so locker und leicht aus den Fingern.«
»Na ja, aus dem Ärmel schüttele ich meine Texte eher selten, das ist in erster Linie harte Arbeit.«
»Aber, aber – wenn jemand so genial schreiben kann wie Sie, dann sollte man das nicht mit so banalen Begriffen wie ›Arbeit‹ abwerten! Damit wird man der Kunst nicht gerecht.«
»Vieles beim Schreiben ist eher banal als genial. Man ringt verzweifelt um Worte, die man hinterher wieder rausschmeißt, dann geht das Ringen wieder von vorn los. Und wenn man denkt, das wäre es jetzt, kommt der Lektor und bittet um ein paar klitzekleine Änderungen. Oft ist es eher Kampf als Kunst, würde ich sagen. Viele Leute haben davon eine falsche Vorstellung.«
Entsetzen umwölkt den Blick des größten Fans. »Aber … wo bleibt denn da der Spaß?«
»Spaß? Wer sagt, dass Schreiben Spaß macht? Am Fließband oder auf dem Bau oder als Krankenschwester malochen macht doch auch nicht wirklich Spaß, oder?« Er zuckt die Achseln. »Es macht mir natürlich mehr Spaß, als acht Stunden am Fließband zu stehen.«
»Woher wissen Sie, dass ich Krankenschwester bin?«
»Ach«, brummt der Autor halblaut, »das war nur so dahingesagt.«
Sie übergeht seinen Seitenblick. »Ich bin gern Krankenschwester! In der Nachtschicht lese ich viel, und gerade Ihre Bücher haben mich immer sehr gut wachgehalten – die kann ich gar nicht aus der Hand legen. Wie kriegen Sie das nur immer hin, dass die soo spannend sind?«
»Na ja, es gibt da ein paar Kniffe …« Er überreicht ihr die signierten Taschenbücher und zwinkert ihr zu. »Das Grundschema ist meistens gleich, auch wenn mir ein paar Variationen zur Verfügung stehen. Schließlich noch ein bisschen Fleisch aus dem Tiefkühler darum herum, ein bisschen Würze durch ein paar deftige Szenen, schon hat man mehr als die halbe Miete eingefahren. Und wenn’s nicht spannend genug ist, sagt mir das der Lektor oder der Redakteur. Dann muss ich halt noch mal ran. Manchmal muss ich das halbe Buch umändern. Gelegentlich macht das auch der Lektor.«
»Sie schreiben Ihre Bücher nicht von A bis Z selbst?«
»Früher schon, aber heute geht das nicht mehr. Veranstaltungen wie diese hier nehmen immer mehr Zeit in Anspruch. In der Kanzlei meines Steuerberaters kann ich mir schon fast ein Zimmer nehmen. Und dann die ganze Korrespondenz – seitdem das meiste über E-Mail abgewickelt wird, hat sich der Aufwand dafür verzehnfacht. Aber ich bringe meine Ideen natürlich immer noch in meine Bücher ein. Zumindest werde ich gefragt, ob es so passt.« Achselzuckend fügt er hinzu: »Meistens jedenfalls.«
Der größte Fan hält inne, nachdem sie alle Bücher feinsorglich und ohne Eselsohrengefahr in den Einkaufskorb geschichtet hat. Sie sieht den Autor stumm an.
»Wenn Sie noch etwas auf dem Herzen haben – nur raus damit! Für meinen größten Fan beantworte ich gern jede Frage!«
»Äh, ja …«, sagt sie mit einem Blick auf die Menschenschlange an der Kasse, »kann ich die Bücher … äh, wieder zurückgeben?«
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Und die Moral von der Geschicht? Verrat deine Geheimnisse nicht!