Wieder mal ein Hörbuch-Liebling aus meinem alten Blog:
Den ersten Kontakt mit dem Klassiker des Nobelpreisträgers William Golding hatte ich in der Schule. Herr der Fliegen war als Lektüre vorgesehen, allerdings ging zum Ende des Schuljahres irgendwie die Zeit aus, und obwohl das Buch bereits für die ganze Klasse angeschafft war, lasen wir den Roman nicht mehr im Unterricht. Was ich damals sehr schade fand, denn neben 1984 war es endlich mal eine Schullektüre, die mich wirklich interessierte. Schon allein wegen der martialisch bemalten Gestalt auf dem Buchcover, die auch für das Argon-Hörbuch verwendet wurde, und dann natürlich wegen des vielversprechenden Inhalts. Ich nutzte damals also die Sommerferien und verschlang das Buch innerhalb kürzester Zeit, was vor allem an der fesselnden Abenteuergeschichte lag.
In einem Atomkriegsszenario strandet eine Schar von unterschiedlich alten Schuljungen, die ein Flugzeugunglück überlebt haben, auf einer einsamen Pazifikinsel. Hier gibt es keine Erwachsenen – die Schüler sind sich selbst überlassen und versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Sie wählen einen Anführer und teilen sich in Gruppen auf, die zur Jagd, zum Bewachen des Signalfeuers und zum Hüttenbauen eingesetzt werden. Während einige das Ganze zunächst als großes Robinsonabenteuer betrachten, sind andere bemüht, das Überleben zu sichern. Schon bald gibt es Kompetenzstreitigkeiten, und die Jagd auf Schweine artet in einen Blutrausch aus, dem ein Junge zum Opfer fällt. Die Gemeinschaft bricht auseinander, die Schüler schlittern nach dem Flugzeugabsturz in ihre zweite Katastrophe.
Für mich gehört der 1954 erschienene Roman zum Besten, dem jemals der Stempel Jugendbuch aufgedrückt wurde. Dabei habe ich es eigentlich nie als reines Jugendbuch gesehen. In die Story fließt viel von dem ein, was das Menschsein ausmacht – auch die negativen Seiten. Aus Machtstreben, Gewaltbereitschaft und dem Sich-Entfernen von dem, was Zivilisation bedeutet, entwickelt sich ein Szenario, das ebenso gut unter Erwachsenen spielen könnte.
Die Lesefassung auf CD ist leider gekürzt, was angesichts der überschaubaren Länge des Romans wieder einmal ein Ärgernis darstellt. Immerhin wird der Inhalt durch die Kürzungen nicht verfälscht, soweit ich es beurteilen kann (das letzte Wieder-Lesen der ungekürzten Fassung liegt ein Weilchen zurück). Andreas Fröhlich trägt den Roman exzellent vor. Er variiert die Stimme dort, wo es angebracht ist, ohne dabei in Ausdrucksfaxen abzudriften. Allerdings ist es immer so eine Sache, wenn ein bekannter Synchronsprecher ein Hörbuch einliest, der so extrem mit einem Schauspieler identifiziert wird, wie es bei Fröhlich der Fall ist: Wenn ich seine Stimme höre, denke ich sofort automatisch an John Cusack, und es hat eine ganze Weile gedauert, bis die Figuren vor meinem geistigen Auge nicht mehr wie Cusack ausgesehen haben … Trotzdem ist es alles in allem ein sehr empfehlenswertes Hörbuch.
Gelesen von Andreas Fröhlich, 6 CDs, 423 Minuten, Argon Verlag, Autorisierte Lesefassung.