„Dank“ einer schlaflosen zweiten Nachthälfte hab ich meine Halloween-Geschichte heute Morgen beendet. Den Rest hab ich kürzer gestaltet als ursprünglich geplant, insgesamt sind es jetzt etwas mehr als 25 Standardseiten bzw. ca. 37.000 Zeichen geworden.
Hier also der Schluss der Story – weiter vorn hab ich den Abschnitt leicht verändert, in dem Frank gefunden wird, also setze ich mal da an:

Er schaltete das Fernlicht ein und erfasste auf der übernächsten Kreuzung eine Gruppe Maskierter, die mit Knüppeln auf jemanden einschlugen, der am Boden lag.
»Nicht da lang!«, flehte Hannah.
»Nein, wir biegen vorher ab.«
»Und wenn sie ihn totschlagen?«, fragte Dennis.
»Das werden sie nicht.« Herr Brenner klang nicht überzeugend, auch wenn er sich darum bemühte. »Außerdem ist überall Polizei unterwegs, ihr habt die Sirenen doch gehört.« Mit einem Seitenblick raunte er Dennis zu: »Jag deiner Schwester bitte nicht noch mehr Angst ein!«
»Ich sag ja schon gar nichts mehr.«
»So hab ich es nicht gemeint. Was war denn nur mit Frank los?«
»Er hat sich andauernd gekratzt und war auch sonst ganz komisch. Den Blumentopf hat er einfach so vor Helmuts Füße gepfeffert, ohne Grund.«
Herr Brenner musste auf die Gegenfahrbahn ausweichen, weil zwei umgestoßene Abfalltonnen den Weg versperrten. Die schwarzen Müllbeutel lagen überall verstreut und zwangen ihn, sich im Slalom der Kreuzung zu nähern. Als die Schlägertypen eine Kreuzung weiter von ihrem Opfer abließen und sich nach dem Auto umdrehten, erhöhte er das Tempo und bog nach rechts ab.
Wenige Meter nach der Kurve stieg er hart in die Eisen. Drei Wagenlängen weiter vorn lag jemand halb auf dem Gehsteig, halb auf der Straße.
»Das ist Frank!«, rief Dennis aus.
»Ihr bleibt sitzen!« Herr Brenner ließ den Motor laufen, als er aus dem Auto stieg. Mit langen Schritten näherte er sich seinem Ältesten.
Dennis und Hannah lösten ihre Sicherheitsgurte, um besser sehen zu können. Ihr Vater packte Frank unter den Achseln und schleifte ihn zum Fahrzeug. Keuchend und einen Fluch unterdrückend hievte er ihn in den Fond des Wagens.
»Was ist mit ihm?«, fragte Dennis und schaute über die Kopfstütze nach hinten.
»Er kommt nicht zu sich, scheint aber nicht verletzt zu sein.« Herr Brenner warf Dennis einen prüfenden Blick zu. »Sei ehrlich: Hat Frank unterwegs Alkohol getrunken? Oder was anderes genommen?«
Dennis schüttelte entschieden den Kopf.
»Na gut, ich glaub dir.« Herr Brenner atmete tief durch.
»Papa!«, warnte Hannah und deutete auf die maskierten Schläger, die mit erhobenen Zaunlatten immer näher kamen.
Herr Brenner nickte. »Ich hab sie gesehen, wir verschwinden von hier. Bringen wir Frank nach Hause. Wenn wir ihn dort nicht wachkriegen, ruf ich den Notarzt.«

Frau Brenners Augen quollen beinahe aus den Höhlen, als ihr Mann im Schweiße seines Angesichts den besinnungslosen Frank auf die Wohnzimmercouch beförderte. Er erzählte ihr mit wenigen Sätzen, was vorgefallen war, während er das Telefon zur Hand nahm und wählte.
»Scheiße, alle Leitungen in der Notrufzentrale besetzt.«
Frau Brenner vergaß, ihren Mann wegen des Kraftausdrucks zu ermahnen und sagte: »Wenn da draußen tatsächlich das Chaos ausgebrochen ist, wundert mich das nicht.«
»Iiiiiiiiihh!«
Hannahs Aufschrei ging allen durch Mark und Bein. Sie lenkte die Blicke auf Frank – vor allem auf sein rechtes Ohr, aus dem jetzt die orangefarbene Made herausschaute, die am Vormittag dem Kürbis entschlüpft war. Seitdem schien sie gewachsen zu sein. Flink schlängelte sich das Biest aus dem Gehörgang heraus und zog auf der Couchlehne eine schleimige Spur hinter sich her. Sie war mittlerweile gut und gern acht Zentimeter lang.
»Macht sie kaputt!«, schrillte Hannahs Stimme durchs Wohnzimmer. »Macht sie kaputt!«
Herr Brenner wollte mit dem Telefon zuschlagen, besann sich aber dann eines Besseren. Im nächsten Moment plumpste die Made auf den Teppich und kroch unter die Couch.
Dennis konnte sich nicht bewegen. Vor seinem geistigen Auge schlüpfte das Madenvieh noch einmal aus Franks Ohr. Diesmal hatte es dunkle, verschlagene Augen und ein kleines Maul, das es zu einem breiten Grinsen verzog. Mit einer großen Kraftanstrengung schüttelte Dennis sich den Ekel aus den Gliedern, das Trugbild verschwand. Er fragte sich, ob sein Bruder überhaupt noch lebte. So groß, wie das Biest inzwischen war, musste es Übles in Franks Kopf angerichtet haben. Ein mattes Stöhnen von der Couch ließ Dennis aufatmen.
Herr Brenner ging auf die Knie und spähte unter die Couch, konnte aber die Kürbismade nirgends entdecken. »Holt mir mal jemand eine Taschenlam…«
»Da vorn ist sie!«, rief Frau Brenner und deutete zur Tür.
Das Biest kringelte sich gerade hinaus auf den Korridor und aus dem Blickfeld. Dabei legte es ein Tempo vor wie eine Schlange auf Beutezug.
Dennis stand der Tür am nächsten und folgte der Kürbismade, ohne groß darüber nachzudenken. Das Biest war schon fast an der Haustür, wo es sich lang streckte und dadurch dünner wurde. Unglaublich dünn. Es quetschte sich unter dem Türspalt hindurch, blieb dabei stecken, wand sich hin und her und schlüpfte schließlich ins Freie.
»Das gibt’s doch nicht!«, entfuhr es Herrn Brenner, der hinter Dennis getreten war und es ungläubig mitangesehen hatte. »Was ist das nur für ein Ding?«
Er schritt eilig zur Haustür und riss sie mit einem Ruck auf.
Dennis’ »Nicht!« kam zu spät. Durch die weit geöffnete Tür blickte er an seinem Vater vorbei und entdeckte das orangefarbene Knäuel, das sich in der Garageneinfahrt seltsam pusierend hin und her bewegte, als würde es ungeduldig auf etwas warten. Es veränderte ständig seine Form, doch es war unschwer erkennbar, dass es sich dabei ebenfalls um eine Kürbismade handelte – nur war dieses Exemplar um ein Vielfaches größer. Die Monstrosität dehnte sich, wurde immer länger und schlanker und kroch der kleinen Made entgegen, die ihren großen, inzwischen etwa oberschenkeldicken Bruder beinahe erreicht hatte.
Erst jetzt erkanntes Dennis, was er dort vor sich hatte: Die Riesenmade bestand aus hunderten, vielleicht tausenden kleiner Exemplare, die wie ein glitschiger Fischschwarm alle die gleichen Bewegungen vollführten, als ob sie von einem Zentralgehirn gesteuert werden würden; zusammengehalten von einem gallertartigen Schleim, den auch die kleine Made im Wohnzimmer abgesondert hatte. Das Schwarmgeschöpf nahm Franks Made in sich auf, rollte sich um die eigene Achse und glitt über die Einfahrt auf den Gehsteig. Im Licht der Straßenlaterne leuchtete der seltsame, zwei Meter lange Lindwurm in einem grellen Orange, als würde er von innen heraus glühen. Wenige Augenblicke später war er hinter der Grundstücksmauer verschwunden.
Nur die Polizeisirenen in der Ferne übertönten die Stille, die sich über den Straßenzug gelegt hatte.
Dennis verspürte den Drang, aufs Klo zu müssen, hielt es aber gerade noch zurück.
»Has… hast du das gesehen?«, fragte sein Vater.
Er nickte stumm. Sprachlosigkeit war ansonsten nicht sein Problem, aber hierzu fiel ihm nichts mehr ein.
Ein schrilles Kreischen aus dem Haus sorgte dafür, dass beide die Köpfe drehten. Es war unverkennbar Hannah gewesen. Herr Brenner reagierte als Erster und rannte hinein, Dennis folgte ihm.
Im Wohnzimmer standen Frau Brenner und Hannah vor der Couch und starrten auf Frank, der wie im Fieberwahn stöhnte. Aus seinem Ohr schlüpfte eine weitere Made und glitt auf die Polsterlehne. Mit einem Aufschrei packte Frau Brenner ihre Tochter und zog sie von der Couch weg. Die Kürbismade schlängelte sich hinterher.
Herr Brenner wollte sie zertreten, doch sie wand sich blitzschnell aus der Gefahrenzone, als hätte sie überall Augen, die ihr einen Rundumblick ermöglichten. Er stöhnte, als er hart mit dem Fuß auf den Boden stampfte. Mit einem gepressten »Scheiße!« auf den Lippen griff er sich an den Knöchel und humpelte zum Tisch, um sich dort abzustützen.
Er warf Dennis einen flehenden Blick zu, und der verstand. Aber er wollte nicht den gleichen Fehler begehen wie sein Vater.
»Bin gleich wieder da!« Dennis machte auf dem Absatz kehrt.
Während seine Mutter und Hannah vor der Kürbismade bis zur Schrankwand zurückwichen, eilte er ins Bad und schnappte sich die Haarspraydose seiner Mutter. Im Korridor zog er hastig die Garderobenschublade auf und fingerte das Stabfeuerzeug heraus, mit dem seine Mutter immer die Friedhofskerzen anzündete. Dann hetzte er ins Wohnzimmer zurück.
Dort blickte er in die schreckensgeweiteten Augen seiner Mutter und seiner Schwester. Sie lehnten am Schrank, weiter zurück ging es für sie nicht mehr. Die fingerlange Made verharrte zwischen ihnen und der Couch und schnitt ihnen den Fluchtweg zum Flur ab.
»Mach schnell!«, rief Herr Brenner, der sofort erkannte, was sein Sohn vorhatte.
Eigentlich wollte Dennis sich mit dem Kriegsschrei »Grillfest!« auf das Biest stürzen wie kürzlich, als er mit seinen Freunden ein paar Spielzeugpanzer abgefackelt hatte, doch es kam ihm nicht über die Lippen. Mit zitternden Händen näherte er sich der Made und fürchtete, der Wackelpudding in seinen Knien würde ihn zu Boden sinken lassen, bevor er in Schussweite kam. Als er die Spraydose in Position brachte, entglitt ihm das Gasfeuerzeug aus der Linken.
»Scheiße!«, entfuhr es seiner Mutter. »Gottverdammte Hühnerkacke! Verbrenn dem Scheißvieh den Pelz!«
Selbst die Kürbismade wirkte durch den kleinen Vulkanausbruch irritiert. Herr Brenner starrte seine Frau ungläubig an. Dennis schüttelte die Verblüffung schneller ab und ließ sich auf die Knie fallen. Er schnappte sich das Feuerzeug, zippte die Flamme heraus und hielt die Spraydose dahinter. Kurz gezielt und abgedrückt. Eine Stichflamme schoss über den Teppich und erwischte die Made am Schwanzende. Das Biest kringelte sich ein, rollte sich zuckend um die eigene Achse und schlängelte im nächsten Augenblick davon.
»Hast du das Ding erwischt?«, fragte Herr Brenner.
Der Geruch von verbranntem Fleisch verriet Dennis, dass er getroffen hatte. Der Hinterleib der Kürbismade hatte sich dunkel verfärbt, aber sie lebte noch und kroch unter die Couch.
Plötzlich ertönte ein Knirschen und Knarzen von der Terrassentür. Dennis drehte erschrocken den Kopf und traute seinen Augen nicht: Die Schwarmmade saugte sich gerade außen am der Türscheibe fest und schien sie eindrücken zu wollen. Als das nicht gelang, schwang der Kopfteil des Schwarmwesens zurück und hämmerte wuchtig gegen das Glas, das sofort spinnennetzartige Risse zeigte.
»Vorsicht!«, warnte Herr Brenner, doch da zersplitterte die Scheibe bereits unter dem zweiten Hieb, und die Riesenmade quoll durch das entstandene Loch ins Wohnzimmer.
Dennis schüttelte sich die Splitter aus den Haaren und veränderte seine Position, so dass er einen Flammenstoß auf das Schwarmgeschöpf abfeuern konnte. Er erreichte es nicht ganz, verhinderte aber zumindest, dass es sich ihm weiter näherte.
Die kleine Made schaute unter der Couch hervor und kroch auf den Schwarm zu. Durch die Verletzung war sie jedoch erheblich langsamer als zuvor.
Dennis durchfuhr ein Geistesblitz. Er richtete seinen Flammenwerfer auf die kleine Made, ohne den Sprühknopf zu drücken.
Der Schädel des Madenschwarms zuckte nach vorn, verharrte jedoch in sicherer Entfernung, um nicht selbst gegrillt zu werden. Vor dem Feuer schien er großen Respekt zu haben. Und er schien zu verstehen, was Dennis vorhatte. Mit hin und her pendelnden Bewegungen wartete die Riesenmade ab, während das kleine Exemplar seinen Weg mühsam fortsetzte.
»Gut so«, raunte Herr Brenner seinem Sohn zu.
Dennis folgte der kleinen Made mit der Spraydose; jederzeit bereit, dem Biest den Rest zu geben. Als die Flamme am Feuerzeug erlosch, entfachte er sie sofort wieder. So hielt er das Schwarmwesen in Schach, das abwartete, bis es die kleine Made endlich in seinen Körper einverleiben konnte.
Dennis zitterte am ganzen Leib, wich aber keinen Zentimeter zurück. Mit angehaltenem Atem schielte er zum Schwarmschädel hinüber, in dem er so etwas wie Augen zu erkennen glaubte, die ihn fixierten.
Dann wurde die kleine Made in den Schleim gesaugt, der das Schwarmgeschöpf zusammenhielt. Die Riesenmade zog sich zur Terrassentür zurück und glitt durch das Loch in der Scheibe nach draußen. Dass sie sich dabei in den eigenen Leib schnitt, schien sie nicht weiter zu bekümmern.
Kurz darauf war der Spuk vorüber.
Dennis starrte auf den Schleim, der auf dem Teppich und an der Scheibe zurückgeblieben war. Hannahs Schluchzer ließen ihn herumfahren.
Frau Brenner hatte ihre Tochter in den Arm genommen, ihre Augen schimmerten feucht. Ein angespanntes Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie Dennis zunickte.
»Und jetzt«, sagte Herr Brenner mit sorgenvollem Blick auf Frank, »ruf ich endlich den Notarzt.«

Auf den Hügeln über Hormsthal stand ein klapperiger Lieferwagen im Schatten einer großen Eiche. Das Mondlicht erhellte nur die offene Ladeklappe am Heck und den Hang, der sich vom Stadtrand heraufzog und neben Fliederbüschen und Johannisbeersträuchern zwei einsame, verkrüppelte Birken beherbergte. Auf die Seitenwände des Kleinlasters hatte ein begnadeter Künstler Salat, Gemüse und Kürbisse gemalt. Den Namen des fahrenden Händlers, der darunter zu lesen war, würde man in keinem Branchenverzeichnis finden. Adresse und Telefonnummer existierten nicht wirklich.
Der Händler, dessen Alter schwer zu bestimmen war, saß hinterm Steuer und wartete auf den Wurm. In den letzten Tagen hatte er dessen Setzlinge auf dem Hormsthaler Markt unter die Stadtbewohner gesät. Man musste nur den Preis entsprechend niedrig wählen, schon wurde einem die Ware aus den Händen gerissen. Das wusste er von anderen Märkten, von den vielen Kleinstadtmärkten in so vielen Ländern, die er jeweils gegen Ende des Monats Oktober heimgesucht hatte.
O ja, eine Heimsuchung war es sehr wohl, nur merkten es die Marktbesucher erst, wenn es zu spät war. Die Samhainfrucht spross und gedieh im Fleisch der Kürbisse, zu wahrer Größe heranwachsen und sich teilen konnte sie jedoch nur im menschlichen Gehirn. Dort nährte sie sich von bösen Gedanken, während sie die Wirtskörper allmählich unter Kontrolle brachte und letztlich irreparabel schädigte.
Im Lauf der Jahre war der Wurm gewachsen, doch es würde noch einige Zeit dauern, bis die Aufgabe des fahrenden Händlers beendet war. Bis der Schwarm endlich seine alte Größe wieder erreicht hatte; jene stattliche Größe, die er gehabt hatte, bevor dieser Jack Oldfield mit Feuer und Schwert die Madenbrut dezimiert und fast vernichtet hatte.
Die Kirchturmglocke schlug Mitternacht. Halloween war vorüber. Für dieses Jahr.
Der Händler blickte den Hang hinunter und erwartete den Wurm.
© Christian Weis

So, damit wäre die Erstfassung der Story also abgeschlossen.
Fertig ist die Geschichte natürlich noch lange nicht. Jetzt bleibt sie erstmal in der (virtuellen) Schublade liegen, auf jeden Fall ein paar Wochen lang, bevor ich mich dann – mit möglichst viel zeitlichem und gedanklichem Abstand – an die Überarbeitung mache. Einen Titel hab ich noch nicht. „Süßes und Saures“ bzw. „Süßsauer“ ist, wie schon erwähnt, nicht das Gelbe vom Ei. „Kürbismade“ wäre eine weitere Option.