Manchmal stößt man ja rein zufällig auf Perlen – so geschehen, als kürzlich im ARD-Nachtprogramm Drive gezeigt wurde, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von James Sallis. Ich hab den Thriller, ohne viel darüber zu wissen, einfach mal aufgezeichnet und wollte ihn schon fast von meinem Festplattenrekorder löschen, weil der Anfang gefehlt hat (ich hab mich wohl beim Programmieren in der Anfangszeit vertan). Dann hab ich doch mal reingeschaut und mir kurz darauf die DVD gegönnt, weil mich der Film des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn aus dem Jahr 2011 auf Anhieb gepackt hat (im Gegensatz zu Refns Walhalla Rising von 2009, der zwar durch beeindruckende Bilder glänzt, mir aber recht langatmig erscheint).
Ryan Gosling spielt einen Namenlosen, der tagsüber als Automechaniker und Stuntfahrer arbeitet und sich nachts in Los Angeles als Fahrer für Fluchtautos verdingt. Kriminelle heuern ihn an wie einen Chauffeur, nach dem Coup geht man getrennte Wege. Das funktioniert so lange, bis er eine Nachbarin näher kennenlernt, die ihren Sohn anscheinend alleine großzieht. Doch die Gute ist verheiratet, ihr Mann verbüßt gerade eine Haftstrafe. Als er entlassen wird, muss er eine Schuld aus dem Knast begleichen – indem er einen Raubüberfall begeht. Der Driver fährt den Fluchtwagen, und damit gerät sein weitgehend in der Anonymität des Großstadtmolochs geführtes Leben erst recht aus den Fugen.
Einer meiner Lieblingsfilme ist Michael Manns Heat mit Al Pacino und Robert De Niro. In vielen Szenen erinnert mich Drive an eben diesen Film. Refn lässt, wie auch Mann, oftmals nur die Bilder sprechen, gelegentlich untermalt von einem unaufdringlichen, aber sehr guten und effektiven Soundtrack.
Das Video zu Desires Under Your Spell zeigt recht gut, wie Refn mit seiner Inszenierung und dem Soundtrack teils melancholische, teils hypnotisch wirkende Bilderfolgen entwirft, die dann regelrecht explodieren, wenn der Driver hinter dem Steuer eines 300 PS starken Wagens sitzt und durch die Straßen von L.A. rast (wer den Film anschauen möchte, sollte das Video aber nicht komplett ansehen, denn es verrät fast zu viel vom Inhalt). Den Ohrwurm A Real Hero von College & Electric Youth krieg ich jetzt wahrscheinlich tagelang nicht mehr aus dem Ohr.
Szenen mit Gänsehauteffekt hat Refn wirklich drauf. Dabei hilft ihm natürlich das Darstellerensemble, der Film ist bis in die Nebenrollen exzellent besetzt. Wenn etwa der Driver und seine Nachbarin Blicke wechseln, die besagen: Was wäre gewesen, wenn wir uns zu einer anderen Zeit und unter anderen Umständen kennengelernt hätten …, dann braucht es keine Worte. Auch nicht, als der Driver versucht, eine immer weiter eskalierende Situation in den Griff zu bekommen – und zu überleben. Ryan Gosling erinnert mich dabei phasenweise an Steve McQueen; so überzeugend wie in dieser Rolle hab ich ihn noch nie gesehen. Die FSK-Freigabe ab 18 ist durch einige wenige Szenen gerechtfertigt. Drive ist aber beileibe keine Gewaltorgie, sondern ein cooler, fesselnder, wirklich beeindruckender Film.
NACHTRAG:
Inzwischen hab ich mir auch den Roman von James Sallis gegönnt, der bei Heyne erschienen ist und mit dem Deutschen Krimi Preis 2008 als bester Internationaler Roman ausgezeichnet wurde. Weil sie es auf den Punkt bringt, zitiere ich mal aus der Laudatio von Reinhard Jahn:
Ein Buch, so knapp und so lakonisch wie ein früher Clint Eastwood-Film. „Drive“ ist das, was man noir nennt – eine Skizze aus der Welt jenseits des Gesetzes – die nach ihren ganz eigenen Regeln funktioniert. Noir ist auch eine Schreibhaltung – die James Sallis perfekt beherrscht: lakonisch, auf den Punkt, kein Wort, kein Satz zuviel. Aber auch kein Wort und keinen Satz zu wenig.